Herausforderungen für die Finanzberatung – unsere Herbsttagung 2022 im Augustinerkloster, Erfurt
Herausforderungen für die Finanzberatung: Krieg, Klima, Taxonomie – wie können wir nachhaltig beraten? So waren die Themen für die Herbsttagung von ökofinanz-21 gesetzt. Diese Themen spiegeln auch weltweite Entwicklungen und ihre Konsequenzen für das Arbeiten und Leben im 21. Jahrhundert wider.
Klimakatastrophe, Artensterben, Verteilungskämpfe, Korruption und vieles mehr gründen auch auf dem Umgang mit Finanzen. Die Kapitalanlage und die Finanzberatung im Sinne der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen ist dringlicher denn je. Aber leider ist die Kompetenz für eine wirklich nachhaltig ausgerichtete Finanzberatung im Markt allgemein nur rudimentär vorhanden. Und diese wird sich durch Verordnungen nicht per se entwickeln. Um die Zukunftsorientierung von Finanzanlagen zu bewerten, braucht es eben: Werte. Werte, die sich nicht dadurch bilden, dass ein vorgefertigter Fragebogen bearbeitet wird, sondern durch jahrelange und intensive Beschäftigung mit dem Thema und die offene Begegnung von Mensch zu Mensch im Beratungsgespräch – und auf Tagungen …
Eindrücke eines Wirtschaftsethikers
Wie Wirtschaftsethiker Dr. Bernd Villhauer vom Weltethos in Tübingen im Eröffnungsvortrag ausführte: „Finanzberatung heute sollte nicht in ein weltanschauliches Lager eingeordnet werden. Sie ist weder rechts noch links, sondern vorne. Fragen Sie sich selbst, ob Sie sich für andere Menschen mit anderen Meinungen wirklich interessieren. Dann können Sie auch Brücken bauen für Menschen, die noch auf der ganz anderen Seite stehen… Lassen Sie Lernprozesse zur Orientierung zu bei sich und bei anderen. Wir sollten nämlich nie zu sicher sein, dass wir schon auf der moralisch richtigen Seite sind.“ Dr. Bernd Villhauer führte aus: „Finanzberatung heute muss nicht den Idealismus gegen den Realismus ausspielen. Fragen Sie sich selbst, welchen Realismus Sie idealistischen Kundinnen und Kunden zumuten können und welchen Idealismus den anderen.“
Eine wichtige Frage, die sich auch im weiteren Verlauf der Tagung spiegelt – auch in anschließenden Beiträgen von Fördermitgliedern, die auf unterschiedliche Weise ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen wollen und hiermit tendenziell auch unterschiedliche Kundengruppen ansprechen. Es wird aber auch deutlich, dass beide Ansätze – Impact und Engagement – ihre Berechtigung haben und für eine nachhaltige Entwicklung des Finanzmarktes unabdingbar sind. Der Vielschichtigkeit in der Bewertung von nachhaltigen Finanzanlagen werden leider die relevanten neuen Verordnungen in keiner Weise gerecht (Taxonomie, Offenlegung, MiFID …).
Das Ungetüm in der Finanzberatung
Die EU-Kommission hat eigentlich im Sinn gehabt, Finanzströme in nachhaltige und klimaschützende Anlagen umzuleiten. Aber das ist zum einen durch die im März 2022 vorgenommene Klassifizierung von Atomkraft und Erdgas als nachhaltig vollkommen verwässert. Zum anderen entpuppt sich die nach der Finanzmarktrichtlinie angeordnete Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen als bürokratisch-technisches Regulierungsmonster. Auch wenn, was die Taxonomie vorsieht, die Aggregierung von vergleichbaren Daten eine Grundlage bilden kann, taugt die Umsetzung der Abfrage nicht für den Beratungs- und Vermittlungsalltag – Daten sind noch keine Werte!
Zudem hat der Verordnungsgeber das Pferd von hinten aufgezäumt. So werden leider selbst die relevanten Daten noch lange nicht in valider Qualität vorliegen. Die Investmenthäuser – wie durch den Vortrag eines Fördermitglieds deutlich wurde – sind damit voll beschäftigt, entsprechende Daten zusammenzufassen, wobei diese seitens der investierten Unternehmen bis jetzt kaum vorliegen. Und sie sind bei der Komplexität der Gesetze mehr denn je auf Wirtschaftsprüfer angewiesen, die ihrerseits aufgrund der Komplexität kaum aussagefähig sind.
Auch wenn wir begrüßen, dass die Frage nach der nachhaltigen Ausrichtung nun verbindlich in der Finanzberatung ist – wir fordern das schon seit 2008 – kann auf diese Weise die nötige Transformation des Finanzwesens nicht vorangebracht werden. Der Austausch in Erfurt hat vielmehr verdeutlicht, dass auf diese Weise Hürden aufgebaut werden. In Workshops haben wir Wege begonnen – und werden diese weiterbauen – auf denen wir diese Hürden meistern können. Die Kundinnen und Kunden und ihre Bedürfnisse müssen im Mittelpunkt jeder Beratung stehen – und nicht Vorschriften und Regulierungen.
Nachhaltige Erkenntnisse
Auch bei diesem Thema zeigt sich wie immer auf den Tagungen von ökofinanz-21: der direkte Austausch zwischen Beratenden und Investmenthäusern ist ein großer Gewinn und ermöglicht neue und gemeinsame Erkenntnisse und eine Schärfung des Nachhaltigkeitsprofils aller Beteiligten.
Aber nachhaltige Investments zu bewerten, ist natürlich schon seit Gründung des Netzwerkes vor bald 20 Jahren eine Grundlage für die Arbeit der Mitglieder von ökofinanz-21. Das Netzwerk bietet hier schon lange die Plattform für den Wissensaustausch. In Erfurt hat eine Arbeitsgruppe einen Rechercheleitfaden entwickelt, um die für die Nachhaltigkeitsbewertung hilfreichen Tools zu identifizieren und besser nutzen zu können.
Mit Versicherungen wirken?
Kapital wird selbstverständlich nicht nur in Fonds und Wertpapieren angelegt, sondern auch in und durch Versicherungen. Und diese werben auch mit Nachhaltigkeitsmerkmalen, was mal mehr oder weniger wirklich sinnstiftend scheint. Aus einem Workshop zu Versicherungen heraus hat sich eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich diesem Thema und dabei zuvorderst dem Bereich Kompositversicherungen widmet. Es soll untersucht werden, welche Konzepte es am Markt gibt und welche Leistungsbausteine von einem „echten“ nachhaltigen Sachversicherungsprodukt zu erwarten und wünschenswert wären.
Wenn auch der Austausch auf der Tagung bestätigt hat, dass viele Anlegerinnen und Anleger angesichts der Krisen, aktuell vor Allem auch vor dem düsteren Hintergrund des Krieges in der Ukraine und den wirtschaftlichen Folgen, verunsichert sind, so ist doch auch noch deutlicher geworden, dass die Arbeit von ökofinanz-21 wesentlich ist und einen Beitrag leisten kann – und muss.
Insgesamt waren alle, die an der Erfurter Herbsttagung teilgenommen haben, sehr froh, dabei gewesen zu sein. Sie fühlten sich durch die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Arbeitsweise bestärkt, konnten viele Ideen und Anregungen zu wichtigen Themen mitnehmen. Der frische Input, die vielen interessanten Denkansätze hätten gutgetan und neue Wirkungsmöglichkeiten aufgezeigt, erklärten die Teilnehmenden.
Im nächsten Jahr wird ökofinanz-21 seit 20 Jahren bestehen – wir sehen uns im April auf der Jubiläumstagung in Berlin.
Marcus Brenken, Vorstandsvorsitzender