Anforderungen an nachhaltige Geldanlagen – zwischen Impact und Greenwashing
Eindrücke der ökofinanz-21-Tagung von Christine Sommer-Guist
Am 18. Und 19. Mai 2022 trafen sich rund 55 Finanzfachleute im Bonner UniClub zur Frühjahrstagung des Netzwerks für nachhaltige Vermögensberatung ökofinanz-21. Es war aus wohlbekannten Gründen das erste Zusammentreffen in Präsenz seit zwei Jahren. Seine Bedeutung erlangte es aber nicht nur deswegen. Die anwesenden Expert*innen schufen diese mit ihrem außerordentlichen Engagement für Nachhaltigkeit in der Geldanlage, das immer stärker wahrgenommen und anerkannt wird – von Verbraucher*innen ebenso wie von namhaften Institutionen und Unternehmen, die das Thema nachhaltige Geldanlagen beherrschen.
Das Finanzberaternetzwerk ökofinanz-21 hat sich seit bald zwei Jahrzehnten der Nachhaltigkeit verschrieben und veranstaltet jedes Jahr zwei Tagungen, um mit Mitgliedern und Gästen relevante Entwicklungen zu diskutieren. In diesem Frühling hieß der Leitfaden „Zwischen Impact und Greenwashing“, an dem sich alle Workshops, Podiumsdiskussionen und Vorträge orientierten. Marcus Brenken, Vorstandsvorsitzender von ökofinanz-21, führte einleitend die Teilnehmenden mit einem Impulsvortrag mehr als 300 Jahre zurück in die Vergangenheit. Oder in die Zukunft? Denn immerhin stammt der Begriff Nachhaltigkeit aus dem Jahr 1713 und scheint heute so modern und aktuell, als wäre er erst gestern erfunden worden, damit er unser Morgen rettet.
Hans Carl von Carlowitz, der seinerzeit in seinem Buch „Sylvicultura Oeconomica, Oder Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung Zur Wilden Baum-Zucht“ den Begriff Nachhaltigkeit zu geschichtsträchtiger Popularität verhalf, wusste wovon er sprach. Seine Familie verwaltete seit Generationen Wälder im Erzgebirge. Er hatte erlebt, was es bedeutet, wenn Holz geschlagen wird, ohne Bäume zu züchten und Wälder aufzuforsten, um auch für zukünftige Generationen Holzvorräte zu schaffen. Die Landschaft war, als er das Buch schrieb, erschöpft, die Wälder zerstört. Das Holz fehlte, um die Wirtschaft des Landes am Leben zu erhalten. Carlowitz’ Analyse und Aufforderung zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder kam gerade zur rechten Zeit. Sie wurde wahr- und ernstgenommen, trug Früchte und in den folgenden Jahrhunderten zu einer deutlichen Erholung der Wälder bei.
Bis heute machen diese in Deutschland knapp 30% des Staatsgebietes aus. Seit Kurzem ist diese stolze Größe allerdings rückläufig. „Der Wald kann wieder mal nicht mehr aushalten, was die ‚Zivilisation’ ihm antut“, fasst Marcus Brenken zusammen. Und genau damit schuf er die Einleitung zum Thema der Tagung: Was können und was müssen wir tun, um nachhaltiges Wirtschaften zu definieren und entsprechend zu investieren? Wie können Finanzexpert*innen echten Impact erkennen? Was können sie tun, um Greenwashing zu identifizieren, damit ihre Kund*innen wirklich nachhaltig anlegen können?
Expert*innen unter sich
In Workshops besprachen die engagierten Netzwerk-Mitglieder zusammen mit Gästen aus Wirtschaft und Verbänden, wie man für Verbraucher*innen Transparenz schaffen kann – wie Beratende nachhaltige Unternehmen erkennen können, welche gesetzliche Regelungen es zu beachten gilt, welche Chancen und Risiken diese bergen. Investmenthäuser hatten Referent*innen zur Tagung geschickt, die offenlegten, wie sie Nachhaltigkeit messen und Unternehmen klassifizieren. Sie stellten sich kritischen Fragen und nahmen die Anregungen der ausgewiesenen ö21-Expert*innen in Sachen nachhaltige Geldanlagen interessiert auf.
Alle Anwesenden rangen um Klärung, Definitionen und praktikable Lösungen. Einfache Antworten gab es keine, dafür viele Analysen und Ansätze, das Thema Impact und Nachhaltigkeit erkennbar, teilweise messbar und damit auch vergleichbar zu machen. Das verdeutlichten die Vorträge der Referent*innen von CRIC (CRIC steht für „Corporate Responsibility Interface Center“ und ist die größte Investorengemeinschaft zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage im deutschsprachigen Raum) und der NGO Urgewald, die sich als Anwältin für Umwelt- und Menschrechte versteht. Beide arbeiten daran, Impact ebenso wie Greenwashing für Verbraucher*innen und Berater*innen erkennbar zu machen. Während CRIC sich dem Thema auf einer theoretischen, analytischen Ebene nähert, widmen sich die NGOs Urgewald und Facing Finance mit dem Informationstool – www.faire-fonds.info – dem Ansatz, kontroverse Unternehmen in den Investmentfonds aufzuzeigen.
Do no harm …
Regelungen, Veröffentlichungen, Gesetzgebungen und Taxonomien sind so unüberschaubar zahlreich wie die Messungen und Standards, welche die Investmenthäuser und -anbieter erschaffen haben, um ihre Angebote als nachhaltig zu klassifizieren und anzupreisen. Verkaufsprospekte und verschiedene Ratings, die unterschiedliche Maßstäbe ansetzen, sind nur bedingt hilfreich. Ebenso kritisch sahen die Tagungsteilnehmenden die Taxonomie der EU und deren Verordnungen, um Investmentprodukte als Artikel 8 oder 9 zu deklarieren. Schwammige Begriffe haben den Nachhaltigkeitsbegriff in der Geldanlage eher verwässert. Und die EU legt einen Schwerpunkt auf die Klimawirkung von Geldanlagen, vernachlässigt aber andere wichtige Aspekte wie beispielsweise Biodiversität, Soziales und Unternehmensführung, weil es dafür bisher keine definierten Standards und Kriterien gibt.
Insofern bleibt die Forderung nach mehr Transparenz einer der wichtigsten Hebel für Anleger*innen und Vermittler*innen, um Investments mit den eigenen Zielen und Werten abgleichen zu können. Diejenigen, die Geldanlagen erwerben oder vermitteln, müssen überprüfen (können), was die Unternehmen mit dem Geld tun, das sie über Fonds und ETFs einsammeln, dass sie damit keinen Schaden anrichten. Alle müssen nachvollziehen können, was sie mit Vermögensanlagen nicht wollen: in klimaschädliche Aktivitäten und in den Raubbau an Natur und Mensch investieren. Transparenz und Glaubwürdigkeit sind die Gebote der Stunde.
… but do something!
Auf den Punkt brachte es die Urgewald-Referentin Julia Dubslaff. Sie erklärte, dass „Do no signifcant harm“, wie es der UN Global Compact von seinen Unterzeichner*innen fordert, nicht reiche. Für alle müsse „Do no harm at all“ gelten! Denn – hier waren sich alle Tagungsteilnehmenden einig: Die Zeit rennt. Sie wird knapp, um den Finanzmarkt so umzubauen, dass wir die Zukunft unserer Kinder retten. Der Transformationsprozess, den Carl von Carlowitz vor über 300 Jahren geprägt hat, muss wieder, muss ganz neu und verstärkt und sofort passieren, er muss von kleinen Unternehmen und auch von den großen Konzernen ausgehen, sie müssen sich ihrer Verantwortung und ihrer Wirkung bewusst werden und dafür auch zur – finanziellen – Rechenschaft gezogen werden können.
ökofinanz-21 ist schon dabei – seit bald 20 Jahren!
Das einzige und älteste Berater*innen Netzwerk, das sich der Nachhaltigkeit in der Geldanlage verschrieben hat, ist sich seiner Verantwortung bewusst und wird von immer mehr Unternehmen und Verbänden als Expert*innen-Pool wahrgenommen und gebeten, Diskurse mitzugestalten. Auch innerhalb des Vereins soll der Wissenstransfer optimiert werden: Es sollen mehr Synergien genutzt werden, die mit einer intensiveren Vernetzung der Arbeitsgruppen zustande kommen können. Sie alle haben das Ziel, Prozesse zu entwickeln, die Berater*innen die Sicherheit geben, ihre Kund*innen gut und im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig zu beraten. Denn ebenso wie vor rund 300 – oder auch 20 – Jahren ist heute ein nachhaltiges Wirtschaften und Investieren notwendig, weil es für unsere Umwelt und damit für den langfristigen Erhalt unserer Lebensgrundlagen, für unsere Zukunft unerlässlich ist.