Greenwashing: Gefahren und Chancen

Fast alle Akteure der Weltwirtschaft bekennen sich mittlerweile zur Nachhaltigkeit. Das ist schon erstaunlich. Noch vor drei Jahren war das eher ein Randthema, wenn überhaupt. Nun behaupten mehrere Finanzhäuser, Nachhaltigkeit gehöre immer schon zu ihrer DNA. Aha. Haben wir es nur nicht bemerkt? Skepsis scheint angebracht: Ist alles nur Greenwashing? Werden wir belogen? Aus Fahrlässigkeit, Inkompetenz oder gar mit Absicht? Oder werden zu strenge Maßstäbe angelegt? Diese Fragen werden kontrovers diskutiert. Und auch wir haben nicht alle Antworten. Aber einige Gedanken und Anstöße, um gute, differenzierte zu finden.

Was ist glaubwürdig und was ist Täuschung? Ein kleines Video der „Kampagne saubere Kleidung“ aus 2011/2012 ist immer noch aktuell: Es zeigt einfach, was Greenwashing sein kann: „Schön! Färber!“ https://www.youtube.com/watch?v=tjH056zYQk8

Wie bekannt verlangt die Offenlegungsverordnung der EU (SFDR) seit März 2021 von allen, die Anlageprodukte am Markt anbieten, eine Deklaration, inwieweit sie Fragen der Nachhaltigkeit berücksichtigen. Demnächst (wohl ab Januar 2023) wird es auch in der Anlageberatung Pflicht, die Kundinnen und Kunden nach ihrer „Nachhaltigkeitspräferenz“ zu befragen und dies zu dokumentieren.

Derweil ist die Debatte um die Taxonomie noch im Gang. Zum einen sind die Themen-Cluster zu Umwelt, Soziales und Governance noch nicht komplett durchbuchstabiert. Zum anderen gibt es in der EU kontroverse Auffassungen darüber und es sieht aus, dass letzten Endes nationale wirtschaftliche Interessen den Ausschlag geben, dass – wie von der EU-Kommission vorgelegt – Atomstrom und Erdgas als nachhaltig deklariert werden.

Die Position in Deutschland ist eindeutig: Eine Wiederbelebung oder gar ein Ausbau der Atomenergie ist aus vielerlei Gründen nicht akzeptabel. Fondsgesellschaften, die bislang Investitionen in Atomkraft ausschließen, wollen diese Linie beibehalten. Denn eine Technologie, für die seit Jahrzehnten keine langfristig tragfähige Lösung für die sichere Endlagerung des Atommülls gefunden ist, verlagert Altlasten und Risiken auf die kommenden Generationen.

Die EU-Kommission betreibt hier leider großes Greenwashing. Damit beschädigt sie das Ziel, einen glaubwürdigen Rahmen zu etablieren für die Umsteuerung zu einer nachhaltigen Wirtschaft im Sinn des European Green Deal.

Darüber hinaus bleiben diese Fragen bislang ungeklärt:

  • Welche Informationen müssen transparent zur Verfügung stehen?
  • Wer soll diese liefern?
  • Wie soll eine Kontrolle der Selbstdeklaration aussehen?

Die jüngsten Vorhaltungen von Facing Finance (https://www.facing-finance.org/de/) und Finanzwende (https://www.finanzwende.de/) benennen etliche Beispiele dafür, dass ein Großteil der angeblichen Nachhaltigkeitsfonds Etikettenschwindler seien. Viele der Vorwürfe sind angebracht, wenn auch nicht neu. Es gibt Kapitalanlagegesellschaften, die einige Fonds nur umbenennen oder mit einem Kürzel versehen wie Green, Nachhaltig, ESG (ESG steht für eine Orientierung an den Bereichen Environment/ Umwelt, Social/Gesellschaft und Governance/Unternehmensführung), Sustainable usw. Wenn dann zudem Aktien oder Anleihen von bekannten Unternehmen im Portfolio gehalten werden, die unverändert und ohne vorhandene Ausstiegsszenarien gegen ESG-Grundwerte der Nachhaltigkeit verstoßen, dann werden Anlegerinnen und Anleger getäuscht. Jedenfalls dann, wenn sie ausdrücklich etwas anderes wollen als konventionelles Business auf Kosten von Gesellschaft und Umwelt. Es gibt aber viele Akteure, die akzeptable Lösungen bieten und Greenwashing weitestgehend vermeiden.

Unser Rat: Solange es keine allgemein anerkennte Standards zu Sustainable Finance gibt, helfen die Tools, die wir im Beitrag vom 13.09.2021 aufgeführt haben. Diese Datenbanken arbeiten sehr unterschiedlich und keine ist perfekt, Hinweise können diese aber geben. Das FNG-Siegel hat inzwischen 257 Fonds in unterschiedlichen Abstufungen ausgezeichnet. Dennoch: In den Portfolios mancher Fonds finden sich gelegentlich Titel und Branchen, die man nicht in einem Fonds vermuten würde, der nach Artikel 8 oder 9 der Offenlegungsverordnung einsortiert ist.

In einem dynamischen Transformationsprozess ist die Einordnung und Bewertung ohnehin nicht einfach abrufbar. Je nach Methodik, Tiefenschärfe und Gewichtung einzelner Aspekte kommen zum Teil sehr abweichende Ergebnisse heraus. Ohnehin wird man weiter streiten, ob und wie Ethik und Verantwortung zu messen sind. Eine gewisse Unschärfe wird also bleiben.

Investor*innen und Anlageberater*innen kommen nicht darum herum zu prüfen, ob die Nachhaltigkeitsversprechen plausibel sind und im Ergebnis zu den Wünschen ihrer Anlegerinnen und Anleger passen. Diese Aufgabe nimmt Beraterinnen und Beratern kein Gütezeichen ab. Insofern birgt Greenwashing nicht nur Gefahren, sondern bietet für Berater*innen Chancen, die relevanten Fragen für die Zukunft dieses Jahrhunderts voran zu treiben. Dafür braucht es kompetente Beratung. Über 60 davon sind bisher in unserem Netzwerk.

Autor: Ingo Scheulen, Kommunikationsbeauftragter von ökofinanz-21 e.V.