ökofinanz-21 Frühjahrstagung 2024 im Zeichen der Biodiversität

Vom 25. bis 26. April 2024 trafen sich rund 50 engagierte Mitglieder des ö21-Netzwerks mit Gästen in Fulda zur traditionellen Frühjahrstagung. Titel und Thema der Veranstaltung lauteten: Umstrittene Wirtschaftsaktivitäten – der Umgang mit Ausschlüssen.

Die Organisatoren der Tagung, Mike Schramm (ö21-Mitglied, Finanzberater) und Julius van Sambeck (Fördermitglied, GF Ethius Invest), stellten umstrittene, Biodiversität zerstörende Wirtschaftsaktivitäten in den Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionsrunden. Letztlich ging es auch um die Frage, ob die Bewertung von nachhaltigen Geldanlagen mittels von Ausschlusskriterien noch wirksam genug ist oder erweitert werden muss. Reicht es, grüne von umweltschädlichen Investments zu trennen, wenn beispielsweise Brückentechnologien und Transformationsprozesse zu finanzieren und zu unterstützen sind?

Wie erwartet waren die Redebeiträge und Diskussionen an beiden Tagen sehr lebhaft und engagiert. Nach dem ersten Vortrag des Regierungsberaters, Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaftlers Professor Günther Bachmann waren sich alle einig, dass er mit dem Titel seines Beitrags „Biodiversität finanzieren, nicht ihren Kollaps!“ absolut recht hat. Einer seiner Lösungsvorschläge, dieses mit Biodiversity Credits, ähnlich dem CO2-Emmissionshandel zu tun, wurde aber auch kritisch gesehen. Nicht nur, weil der CO2-Markt vielen schwer durchschaubar und sogar unseriös erscheint, sondern auch, weil Biodiversität – im Unterschied zu klimaschädlichen Emissionen – regional verortet sei. Wenn man an einem Ort Ökosysteme zerstört, bringe es wenig, wenn andernorts dafür Natur geschützt wird, erklärten viele. Zugegebenermaßen fehle es aktuell an konkreten Berechnungen und Modellen, um entsprechende Credits berechnen und einen Markt strukturieren zu können. Die größten Probleme für die Biodiversität bleiben nach Ansicht von Herrn Bachmann in Europa der Einsatz von Glyphosat und die Entwaldung weltweit, weshalb er hierfür ein Ausschlusskriterium als unbedingt geboten sieht.

Wie Märkte strukturiert und besser organisiert werden müssen, war auch Thema des Vortrags von Markus Reuß, Senior Projektentwickler Erneuerbare Energien bei EB – Sustainable Investment Management. Die aktuelle Regierung habe Fehler der alten nachgebessert, so dass der Anteil an erneuerbaren Energien in den letzten Jahren stetig gestiegen sei. Allerdings müsste auf politischer Ebene noch viel passieren, damit das Ziel, bis 2030 80 Prozent des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, erreicht wird: der Ausbau eines grenzüberschreitenden Stromaustauschnetzes, eines europäischen Stromnetzverbundes sowie ein effizienter Netzausbau müssten in die Wege geleitet werden. Dafür brauche man neben mehr gesellschaftlicher und politischer Akzeptanz auch viel Geld.

Investments können dazu beitragen, Krisen zu lösen

Große Veränderungen benötigen Geld und welche Unternehmen es tatsächlich einsetzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ist nicht immer leicht zu erkennen. Dafür haben die Unternehmensberatung ESG Plus und die NGO urgewald unabhängig voneinander Datenbanken und Tools entwickelt, die den Impact großer Firmen und Konsortien messen und bewerten. ESG Plus und urgewald präsentierten ihre Analyse-Tools und unterstrichen, dass die meisten Unternehmen und Portfolien die Klima- und Biodiversitätskrisen nach wie vor eher befeuern als lösen. Vor allem die Kohleindustrie sei aktuell eher auf Expansionskurs und weit davon entfernt, sich ändern und für Umweltschutz und Menschenrechte engagieren zu wollen.

Es gebe aber Kriterien, anhand deren man erkennen könne, ob ein Unternehmen einen glaubhaften Transformationsprozess starten wolle, erklärte Julia Dubslaff von urgewald. Dazu gehören für sie das Benennen von konkreten Ausstiegsdaten, die Selbstverpflichtung, keine Expansion zu betreiben, umweltschädliche Anlagen zu schließen und nicht zu verkaufen. Wenn Unternehmen glaubhaft eine grüne Transition betreiben, könnte man deren Engagement fördern und darin investieren.

An den Wandel glauben und ihn finanzieren

Die ö21-Mitglieder sind sich einig, dass Versicherungen und Banken einen sehr großen Hebel haben, um Unternehmen zu steuern, denn sie können Finanzierungen streichen oder erhöhen. Deswegen brauche es einen differenzierten und klaren Blick auf Fonds sowie Instrumente und Methoden. Die nachvollziehbare Bewertung von Glaubwürdigkeit und Impact ist eine Voraussetzung, um die Geldanlagen guten Gewissens Investierenden anbieten zu können.

Am zweiten Tag der Tagung vertieften die Teilnehmer:innen in unterschiedlichen Plena die Diskussion darüber, wie man Glaubwürdigkeit, Impact und Rentabilität von nachhaltigen Geldanlagen erkennen und überprüfen könne.

Im Panel „Impact mit Anleihen: Hoch wirksam = hoch riskant?“ ging es um die Bewertung von Impact und einer angemessenen Balance von Rendite und Risiko.  Die befragten Produktanbieter wie CSR Beratungsgesellschaft und Murphy & Spitz setzen auf persönlichen Erfahrung und Nähe zu den Unternehmen, die sie unterstützen und pflegen enge Kontakte zu den Projektmanager:innen,

Der Vortrag „Schulmedizin/Pharmaindustrie vs. Naturmedizin – warum Pharmatitel nicht nachhaltig sein können“ beleuchtete die Frage, ob die vielfach in Nachhaltigkeitsfonds vertretenen Pharmafirmen mit einer vorwiegend symptomatisch wirksamen und teilweise sehr teuren Medizin wirklich nachhaltig seien.

In einem Workshop zur Biodiversität wurde diagnostiziert, dass es zwar sehr viele Daten gibt, um die Schädigung der Biodiversität zu erfassen. Es gäbe aber sehr wenige Daten, die das Ausmaß der Schädigung durch einzelne Faktoren und Unternehmen erfassen – Daten, die dann auch von Ratingagenturen als vergleichbar und bewertbar aufgefasst werden könnten.

Die EU-Regulatorik würde da insgesamt nicht weiterführen. Direkt bezogen auf die Biodiversität wird von Unternehmen nur verlangt, dass sie ihren standortbezogenen Einfluss auf biodiversitätssensible Gebiete (in der EU ca. 18% des Landgebietes) darlegen. Außerdem müssen Sie ggf. Abhängigkeiten von Ökosystemdienstleistungen benennen und Konsultationen mit ggf. an den Standorten betroffenen Gemeinschaften führen. Bezeichnend sei, dass überhaupt von Gebieten mit schutzbedürftiger Biodiversität gesprochen und dabei verkannt wird, dass die Biodiversität insgesamt schutzbedürftig ist.

Transparenz, Glaubwürdigkeit und Impact liegen allen Anwesenden (natürlich neben dem passenden Risiko-Rendite-Profil) für Ihre Kundinnen und Kunden am Herzen. Leider ist es nicht immer leicht, die dafür benötigten Daten und Informationen zu bekommen. ö21-Tagungen können da helfen. An diesen zwei Tagen tauschen sich Finanzberatende, Produktentwickler, Vertreter:innen von Banken und Versicherungen über ihre Erfahrungen, neue Entwicklungen und Angebote aus. Bei der Frühjahrstagung kam deswegen auch die Frage auf, wie das ö21-Netzwerk seine Expertise und „Marktmacht“ besser nutzen könne, um Nachhaltigkeit vom fast schon abgenutzten Schlagwort hin zum Tool für eine soziale und ökologische Wirtschaft zu verwandeln.

Die nächste Tagung findet im Herbst in Erfurt statt, wo die ö21-Mitglieder und Interessierte vom 10. bis zum 11. Oktober 2024 im Augustinerkloster „in Klausur“ gehen werden. Das Thema der Tagung steht noch nicht fest und wird in den kommenden Monaten in Zusammenarbeit von ö21-Mitgliedern und Fördermitgliedern an Gestalt gewinnen.

 

Christine Sommer-Guist und Marcus Brenken

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