Ba(h)r jeder Vernunft: die geförderte Pflege-Zusatzversicherung

Der Bundestag hat am 29.06.2012 beschlossen, eine neue geförderte Pflegezusatzvorsorge zu etablieren. Nach Vorlage des von Daniel Bahr (FDP) geführten Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) dürfen Versicherer, die diese neue geförderte Pflegezusatz-Versicherung (PZV) anbieten, Antragsteller aufgrund gesundheitlicher Risiken nicht mehr ablehnen. Leistungsausschlüsse oder Risikozuschläge darf es auch nicht geben.

Der Umfang des Versicherungsschutzes soll individuell vereinbart werden können, mindestens aber eine monatliche Pflegerente von 600 EUR – bei Schwerstpflegebedürftigkeit. Dies betrifft nur jede achte pflegebedürftige Person.[1] Um die Beiträge (anfangs) niedrig zu halten, ist keine Altersrückstellung vorgesehen. Das bedeutet, entsprechend der demografischen Entwicklung werden die Beiträge unvermeidlich steigen. Somit ist das Konzept auf die Krankenversicherer zugeschnitten, denn die Pflegerententarife der Lebensversicherer werden mit Kapitalstock und Altersrückstellungen kalkuliert.
Wenn die beschlossenen Bedingungen erfüllt sind und der private Eigenanteil mindestens 10 EUR beträgt, gibt es eine feste Zulage von 5 EUR. Die Verwaltungs- und Abschlusskosten werden begrenzt.

Vorläufige Bewertung:

  • Bisherige Versicherungskonzepte am Markt sind sämtlich nicht förderfähig, weil sie die verlangten Vorgaben nicht erfüllen.
  • Der Annahmezwang aller Anträge (also auch bei erhöhten Risiken wie chronischen Vorerkrankungen) wird zu einer Neukalkulation mit höheren Beiträgen führen.
  • Dies wird zu einer Negativselektion bei der geförderten PZV führen, weil Menschen ohne wesentliche Vorerkrankungen sich bei den jetzt angebotenen Tarifen günstiger absichern können. Der kleine staatliche Zuschuss von 5 EUR pro Monat fängt diese Differenz wahrscheinlich nicht auf.
  • Ein Anreiz, privat für den Pflegefall vorzusorgen, wird so nicht ausgelöst: Menschen mit geringem Einkommen werden sich die neue PZV nicht leisten (können).
  • Menschen mit mittleren und höheren Einkommen, die auch ohne Förderung  vorsorgen oder das vorhaben, werden die Zulage möglicherweise gern mitnehmen. Darauf angewiesen sind sie nicht.
  • Die Pläne der Regierung setzen ausschließlich auf Angebote der Krankenversicherer,  ohne dass diese verpflichtet sind, die Beitragslast im Alter durch Rückstellungen zu senken. Die Beiträge werden also steigen müssen.
  • Nicht zuletzt wird für einen minimalen Förderbeitrag eine neue Zulagenbehörde geschaffen, die zusätzliches Steuergeld kosten wird und im Wesentlichen ihre eigene Existenz finanziert.

Unser Fazit:

Die jetzt vorgeschlagene Förder-Pflegeversicherung ist leider weder gut gemeint noch gut gemacht. Sie ist eine Täuschung. Es wäre gut, wenn sie nicht Gesetz würde – noch hat der Bundesrat nicht zugestimmt.
Richtig wäre eine Grundsanierung der gesetzlichen Pflegeversicherung und eine bessere Honorierung der Menschen, die sich um die derzeit fast 2,4 Mio. Pflegebedürftigen kümmern.

 Ingo Scheulen, 02.07.2012



[1] 2010 waren von 2.347.263 Pflegebedürftigen 290.331 Schwerstpflegefälle der Stufe III, also 12,4%.