Schleichende Vergiftung. Wird die Bayer-Aktie zum „stranded asset“?

Am 26.04.2019 wurde erstmals dem Vorstand eines DAX-Konzerns von den Aktionären die Entlastung verweigert. Unmittelbar hat dies zwar keine Folgen, zumal der Aufsichtsrat sich weiter hinter den Vorstand um Werner Baumann stellt.

Warum befassen wir uns mit Bayer?

„Nach dem Kauf von Monsanto wird der Dax-Konzern nun selbst zum Ziel. Die US-Klageindustrie rüstet sich für einen gigantischen Feldzug, die Investoren werden unruhig.“ schrieb das managermagazin schon am 25.10.2018[i]. Vor dem Eingang zur Hauptversammlung mussten die Aktionäre durch ein Spalier von Demonstranten, die Bayer für das Artensterben mitverantwortlich machen.

Bayer ist ein Weltkonzern ist, der viel bewegt und Einfluss hat. Viele so genannte „Marktteilnehmer“, aber auch die meisten Politiker von wohlklingenden Bekenntnissen blenden. Für die meisten Vermögensverwalter ist die Bayer-Aktie ein gutes und solides Investment. Die Bayer-Aktie ist sogar in einigen Fonds enthalten, die für sich soziale und ökologische Verantwortung reklamieren. Und gerade weil sich Bayer so herausputzt mit Botschaften zur Verantwortung für Umwelt, Natur und Gesundheit, müssen wir genauer hingucken.

Bayer – ein Beispiel für Heuchelei und Etikettenschwindel

Seit 1978 gibt es die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ (CBG), ein mittlerweile internationales Netzwerk von Aktiven.[ii] Sie machen mit Studien und Aktionen öffentlich auf Risiken, Gesetzesverstöße und zweifelhafte Geschäftspraktiken der großen Agrochemie-Konzerne aufmerksam. Auf der jüngsten Hauptversammlung am 26. April argumentierte CBG gegen die Entlastung des Vorstands unter anderem so:

„Glyphosat steht eben nicht nur für Milliarden-Umsätze, sondern auch für Krebs, Gentechnik und Gefährdung der Artenvielfalt. Das hätte der Vorstand in Rechnung stellen müssen, wie sich spätestens mit den Prozessen gezeigt hat. Da er das unterließ, ist ihm die Entlastung zu verweigern.“[iii]

Unabhängig von den vielfachen Skandalen und Prozessen steht Bayer nicht für eine nachhaltige Landwirtschaft. Im Fokus ist die Vermarktung von patentiertem Saatgut (z.T. genmanipuliert) und diversen Pflanzen-„Schutzmitteln“. Damit einher geht die Förderung der Agrarindustrie mit all ihren Folgen: Monokulturen zu Lasten der Biodiversität und Monopolisierung zu Lasten der bäuerlichen Landwirtschaft – weltweit.

Ein Chemiegigant mit Geschichte

Die Geschichte des Konzerns reicht zurück bis ins Jahr 1863. Mit der vielfältig einsetzbaren Arznei Aspirin gelang 1899 ein großer Durchbruch. In den 1920er Jahren wurde Bayer Teil der I.G. Farben, einem Zusammenschluss aller bedeutenden Firmen der deutschen Pharma- und Chemieindustrie. Hitlers Machtübernahme 1933 wurde aktiv von der I.G. Farben gefördert, woraus sich sehr schnell eine enge Kooperation zwischen Industrie und dem Nazi-Regime entwickelte. Bei der Enteignung von Juden und bei der Vorbereitung und Durchführung des Zweiten Weltkriegs war die I.G. Farben maßgeblich beteiligt. Die Siegermächte sorgten nach 1945 für die Zerschlagung des Kartells. 1953 wurden die ehemaligen Einzelunternehmen wieder etabliert, darunter auch die Bayer AG. Die Stationen der Firmengeschichte sind gut dokumentiert, zum Beispiel bei Wikipedia[iv].

Heute gehört die Bayer AG zu den 30 kapitalstärksten Unternehmen, die im DAX notiert sind. Über 80% der Aktien sind in Streubesitz. Mit einem Anteil von etwas mehr als 7% ist BlackRock größter Einzelaktionär[v]. Als die Pläne für eine Übernahme des US-Konzerns Monsanto bekannt wurden, begann sich die Öffentlichkeit wieder für die Leverkusener Bayer AG zu interessieren. Seither häufen sich die schlechten Nachrichten.

Bayer AG – ein Unternehmen mit Vorbildcharakter?

„Nachhaltigkeit bedeutet für Bayer Zukunftsgestaltung und ist als Teil der Unternehmensstrategie in unsere täglichen Arbeitsabläufe integriert.“[vi] So lesen wir auf der Website.

„Durch nachhaltiges Handeln sichern wir unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit. In diesem Verständnis und als Teil der Konzernstrategie ist Nachhaltigkeit in unsere Arbeitsabläufe integriert. Unser Bekenntnis zum „UN Global Compact“, zur „Responsible Care™“-Initiative sowie unser Engagement im „World Business Council for Sustainable Development“ (WBCSD), dem Weltwirtschaftsrat für nachhaltige Entwicklung, unterstreicht unser Selbstverständnis als nachhaltig handelndes Unternehmen. In unserer Nachhaltigkeitsberichterstattung folgen wir seit vielen Jahren den Vorgaben der Global Reporting Initiative (GRI).

Bayer bekennt sich zu den UN-Entwicklungszielen („Sustainable Development Goals“, SDGs) und hat dazu eine Unternehmensposition veröffentlicht. Mit unseren Innovationen, Produkten und Dienstleistungen leisten wir einen Beitrag zur Bewältigung einiger der größten globalen Herausforderungen: Dazu zählen insbesondere die Ziele „Kein Hunger“ (SDG 2) und „Gesundheit und Wohlergehen“ (SDG 3).“[vii]

„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“[viii]

Verfolgt man die weiteren sympathisch klingenden Darstellungen zur nachhaltigen Unternehmensstrategie und den hehren Zielen des Konzerns, müsste man begeistert sein, dass solch ein verantwortliches, vorbildliches Unternehmen zur Creme de la creme der deutschen Global Player gehört. Der Internetauftritt von Bayer ist fraglos gut gemacht: ansprechende Darstellungen, klare Gliederung, alle relevanten Themenbereichen werden angesprochen. Wie das geschieht ist eine andere Sache. Die Verantwortung für Mensch und Natur steht bei Bayer ganz oben an. Anscheinend. Oder nur scheinbar?

Kritische Einwände werden entkräftet, indem man den Kritikern unterstellt, sie seien von falschen Studien ausgegangen und verstünden nichts von der komplexen Sache.[ix] Im Übrigen betreibe man bei Bayer ja einen extrem hohen Aufwand für Forschung. Die Übernahme des Agrochemieriesen Monsanto aus den USA erbrachte für Bayer nicht nur eine enorme Ausweitung des Marktes für Saatgut.

Glyphosat: eine verheerende Mitgift

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass das Pestizid „Round-Up“ nicht nur ein super-wirksames „Pflanzenschutzmittel“ ist, das für Monsanto ein gewaltiger Umsatz- und Gewinnbringer ist. Es ist so wirksam, dass es die Lebensräume für andere Pflanzen („Unkraut“) und Kleinlebewesen abtötet. Wegen großzügiger Anwendung, oft durch Versprühung mit Flugzeugen, sind viele Menschen krank geworden. Manche haben Krebs bekommen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft den Wirkstoff Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Bayer-Monsanto bestreitet das, es sei nicht bewiesen, mit eigens beauftragten Gutachten. Die EU-Staaten hat trotz hunderttausendfacher Proteste die Zulassung bis Ende 2022 verlängert![x] Eine Welle von ungefähr 13.400 Klagen sollt allein in USA auf den Konzern zu. Inzwischen sind ersten Urteile gegen Monsanto ergangen – mit hohen Millionen-Strafen.

Dass Roundup/Glyphosat nicht nur ein weltweiter Verkaufsrenner ist, sondern ein größer werdendes (Kosten-)Risiko, war den Bayer-Vorständen bekannt. Dennoch betrieben Werner Baumann und Co. beharrlich die Einverleibung von Monsanto. Diese wurde schließlich im März 2018 unter erträglichen Auflagen von der EU-Kommission genehmigt. Selbst wenn durch Berufungsverfahren die riesigen Zahlungen für Geschädigte durch Deals noch reduziert werden, ist der reale Schaden gigantisch. Für die Menschen und die Natur, aber wohl auch für den Konzern – und die Aktionäre. Und da hört für die der Spaß auf.

Auch Aktionäre sagen Nein

Erstmals stimmte nun eine Mehrheit von 55,5 % gegen die Entlastung des Vorstands eines DAX-Konzerns. Dabei waren nicht die gesundheits- und umweltschädigenden Aktivitäten ausschlaggebend. Sauer sind die Aktionäre über den Wertverlust ihrer Aktien und den schweren Reputationsschaden. Der Börsenwert von Bayer wird im April 2019 nur noch mit 57 Mrd. EUR notiert, 36% weniger als ein Jahr zuvor.[xi] Die Mehrheit der Bayer-Aktionäre sorgt sich um ihr Vermögen und die künftige Rendite. Die Anträge von kritischen Aktionären und der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ hatten dagegen das nicht-verantwortliche Geschäftsmodell angeprangert. (s.u.)

Wenn aber die seit Jahrzehnten immer neuen Klagen gegen Bayer am Ende den Profit und womöglich irgendwann die Existenz des Unternehmens gefährden, dann ziehen auch Großaktionäre wie BlackRock ihre schützende Hand weg.

Die 4 Oligopole der Agrochemie – ein No Go für nachhaltige Anleger*innen

Ein Jahr vor der Verschmelzung von Monsanto auf Bayer fusionierten zwei andere Große. Aus Dow Chemical und DuPont wurde DowDuPont. 2016 kam es zum Deal zwischen ChemChina und der Schweizer Syngenta. Letztere findet sich ebenso wie die Aktie von BASF in mehreren so genannten Nachhaltigkeitsfonds. Aber natürlich legen auch diese Konzerne vollmundige Bekenntnisse für Nachhaltigkeit und unternehmerische Verantwortung ab.

Abschließend ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium: „Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie räuberische Wölfe. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ (Bibel, Matthäus 7, 15-16)

Tun wir. Deshalb: Die Bayer-Aktie gehört aus unserer Sicht in keinen Fonds, der Nachhaltigkeit für sich reklamiert.

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Anmerkungen und Verweise zum Text:

[i] Siehe: https://www.manager-magazin.de/premium/bayer-ag-das-gift-der-monsanto-uebernahme-a-00000000-0002-0001-0000-000160203416

[ii] http://www.cbgnetwork.org/1.html

[iii] Gegenanträge zur HV 26.04.2019: https://www.bayer.de/de/hv-2019-gegenantraege.pdfx

[iv] https://de.wikipedia.org/wiki/Bayer_AG

[v] BlackRock Inc. ist mit einem verwalteten Vermögen von 6,5 Billionen US-Dollar die größte Fondsgesellschaft (manche sagen auch „Finanzkrake“).

[vi] https://www.bayer.de/de/nachhaltigkeit.aspx

[vii] https://www.bayer.de/de/nachhaltigkeit-managen.aspx

[viii] Aus: Faust – Der Tragödie erster Teil, J. W. v. Goethe

[ix] Die Argumentation gegen einen Antrag der Grünen-Bundestagsfraktion ist hier bespielhaft: https://www.magazin.bayer.de/de/eine-kluge-entscheidung.aspx. Die Grünen wollten über den Fachausschuss für Ernährung und Landwirtschaft erreichen, dass der Einsatz von Pestiziden wirksam reduziert wird (BT-Drucksache 19/835).

[x] Diesmal mit Zustimmung Deutschland. Die frühere Umweltministerin Barbara Hendricks hatte sich noch stark für ein Verbot eingesetzt.

Stand 27.04.2019 – Autor: Ingo Scheulen