Mythos D-Mark

Mythos D-Mark

Der Angriff auf den Euro offenbart Schwächen und Stärken.

Das Elend der griechischen Staatsfinanzen ließ sich nicht länger verheimlichen. Auch wenn andere Länder nicht in solchem gigantischen Ausmaß sich und anderen etwas in die Tasche gelogen haben, stehen andere Staaten vor ähnlichen Problemen.

Überschuldung und Euro-Stabilisierung sind in den Schlagzeilen. Während die einen hektisch ein Rettungspaket packen, andere auf die Zahlungsunfähigkeit von Griechenland (und anderer „PIGS-Staaten“) sowie die Schwäche des Euro wetten, wird die „gute alte D-Mark“ als Lösung angepriesen. Was ist davon zu halten?

Nationale Währungen haben den unstreitbaren Vorteil, dass die Währung sich einigermaßen kohärent zur Wirtschaftskraft eines Landes verhält. Die Steuerung durch eine nationale Notenbank ist möglich, ohne dass formal jemand von außen hineinregiert. Dies funktioniert, solange sich die Austauschbeziehungen nach innen und außen in einem stabilen Gleichgewicht befinden. Bei einer extrem export- und importabhängigen Volkswirtschaft wie der deutschen ist das nicht so einfach. Nicht umsonst waren im Vorfeld der Etablierung der Euro-Gemeinschaftswährung vielerlei zwischenstaatliche Verträge geschlossen, wodurch Störungen im internationalen Finanz- und Wirtschaftsaustausch abgepuffert werden sollten.

Warum haben wir den Euro?

Der europäische Wirtschaftsraum schien ausreichend groß und stabil, um mit dem Euro Handelshindernisse zu beseitigen, die durch unterschiedliche Wechselkurse hervorgerufen wurden. Vertragsgrundlage waren die berühmten Konvergenzkriterien von Maastricht. Die Verpflichtung darauf war und ist die Voraussetzung für den Beitritt zur Euro-Zone. Das Regelwerk hat offenbar Schwächen, wenn eins oder mehrere Mitgliedsstaaten erheblich oder dauerhaft dagegen verstößt. Es gibt kein wirksames Sanktionsregime. Dies ist auch dem Dümmsten im Zuge der Griechenland-Krise vor Augen geführt worden.

So mussten wir wieder einmal die Vokal „alternativlos“ hören, als es darum ging, den gigantischen Rettungsschirm von 750.000.000.000 Euro aufzustellen.
Selbstverständlich gibt es immer eine Alternative. Mindestens eine. Die Frage ist nur, welches die beste Lösung ist. Oder – wenn man in der Vergangenheit Fehler gemacht hat: Welches ist das kleinere Übel?

Im Fall Griechenland loderte allerdings bereits das Feuer unter dem Dach, so dass keine Zeit zum Handeln blieb – zum Beispiel für eine „geordnete Insolvenz“. Immerhin hat sich (bei aller Kritik) die Politik als handlungsfähig gezeigt – weil der Druck im Kessel inzwischen gefährlich angestiegen war.

Welche Strategien zur grundlegenden Reform richtig oder falsch sind, soll hier nicht erörtert werden. Dazu fühlen wir uns auch nicht berufen. Weil zur Zeit die Mär von der Rückkehr zur D-Mark heftig verbreitet wird, muss dazu ein Wort verloren werden.

„Wir woll’n unsere gute alte D-Mark wieder ham.“ Wirklich?

Natürlich ist eine Wiedereinführung des Deutschen Mark im Prinzip möglich und auch machbar. Dazu muss man sich aber fragen, wo die Vorteile und wo die Nachteile liegen – und was das Ganze uns alle kosten würde.

Die Auskoppelung Deutschlands aus dem Euro-Land würde zu einer Aufwertung führen, was die deutschen Exporte verteuern würde. Auch wenn man dagegen rechnet, dass verbilligte Importe dies zu ca. 42% wieder reduzieren würden, ist das nur eine gesamtwirtschaftliche Rechnung, die im konkreten Fall einen Zusammenbruch vieler Unternehmen nicht verhindern würde. Wie viele Menschen zusätzlich arbeitslos würden, lässt sich nicht seriös vorhersagen.

Die Stärke der deutschen Wirtschaft auf den globalen Märkten beruht inzwischen zu einem großen Teil darauf, dass wir Teil des europäischen Wirtschafts- und Währungsraums sind. Innerhalb Europas ist Deutschland der größte Faktor, sowohl wirtschaftlich als auch von der Bevölkerungszahl her. Mit einem Ausstieg würde Deutschland mit einer eigenen D-Mark den gesamten europäischen Raum destabilisieren und womöglich den Zerfall des bisherigen Einigungsprozesses einleiten.

Dann müssen wir die notwendigen gewaltigen Umstellungen von Euro auf D-Mark einschließlich der Kosten hinzurechnen, die für Währungstausch und Währungsabsicherung anfallen (die auf ca. 0,5 bis 1,0% des Bruttoinlandsprodukts geschätzt werden).

Es gibt im übrigen derzeit weder in der Wirtschafts- noch in der Finanzwelt irgend jemanden, der ernsthaft über eine Rückkehr zur D-Mark nachdenkt.

Und nicht zuletzt bedeutet ein deutscher Alleingang kulturell einen historischen Rückfall in Zustände, die sich niemand ernsthaft wünschen kann. Auch um den sozialen Frieden müssten wir uns Sorgen machen.

Der Euro ist mehr als nur ein Zahlungsmittel.

Hinter ihm steht eine Gemeinschaft von Staaten, die noch dabei ist zusammen zu wachsen. Möglicherweise ist die Einführung des Euro zu früh erfolgt. Die Entwicklung in den einzelnen Ländern und Regionen Europas verlief und verläuft ungleichmäßig. Das kann auf einem so heterogenen Kontinent nicht anders sein. Die Produktivität, die Innovationskraft und die innere Struktur verlangen ein hohes Maß an Solidarität. Dazu muss man sich auch von nationalen Egoismen verabschieden. Dieser Prozess dauert wesentlich länger, als viele geglaubt haben. Aber noch vor einer Generation war er nicht einmal überhaupt für denkbar gehalten worden.

Der Ruf nach der D-Mark ist nicht nur unrealistisch. Er hilft weder uns in Deutschland noch unseren Nachbarn.

„Der Abschied von der D-Mark war ein Abschied für immer. Wenn Deutschland die Währungsunion verlässt, stürzt Europa ins Chaos – und die deutsche Wirtschaft kippt in die nächste Rezession.“ (Focus-Online am 19.05.2010) Die Deutsche Mark ist Geschichte.

(Ingo Scheulen, 01.06.2010)