Der Fall BP

Der Fall BP – Risikofaktor Mensch

Größte Ölkatastrophe zeigt Grenzen des Machbaren auf

„Deepwater Horizon“ gaht als eine der größten Umweltkatastrophen in die Geschichtsbücher ein, die nicht mit Krieg (wie im Irak) zu tun haben. Neueste Schätzungen gehen davon aus, dass 780 Millionen Liter Öl in den Golf von Mexico geströmt sind.

Vorläufige Beruhigung?

Drei Monate nach der Explosion auf der Bohrplattform scheint es beim 12. Versuch gelungen zu sein, das Leck zu stopfen. Ein Sechstel des Öls soll aufgefangen worden sein. Fauna und Flora im nördlichen Golf von Mexico bis zu den Touristenstränden Floridas sind verschmutzt. Welche langfristigen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Folgen bleiben, welche Kosten anfallen und wer das alles bezahlen soll, ist noch nicht realistisch abzuschätzen.

Der Unfall war kein Naturereignis

Die Erdölindustrie bedient die immer noch wachsende Nachfrage nach dem „schwarzen Gold“, indem immer entlegenere Lagerstätten erkundet und ausgebeutet werden. Die Risiken steigen unvermeidlich, wenn man in Tiefen bohrt, zu denen der Mensch keinen direkten Zugang hat. Muss man immer wieder betonen, dass niemand ein Versagen der Technik oder Veränderungen im Erdmantel ausschließen kann?

Es versteht sich eigentlich von selbst, dass es einen Plan B geben muss – zumal es bereits 1979 einen ebenso verheerenden Unfall auf der mexikanischen Plattform Ixtoc I vor Yucatan gegeben hat. Damals dauerte es 297 Tage, bis der Öl-Austritt durch zwei Entlastungsbohrungen gestoppt werden konnte. Im Nigerdelta hinterließ Shell eine Ölwüste von gigantischen Ausmaßen. Hafen und Küstengewässer von Dalien im Nordosten Chinas sind im Juli als neues Desaster dazugekommen.

Der GAU ist real

Seit dem Ausbau der Atomenergie in den 70er Jahren gehört die Abkürzung GAU zum allgemeinen Wortschatz: Größter anzunehmender Unfall. Natürlich muss ein GAU nicht passieren. 1986 trat er schließlich in Tschernobyl ein.

Der Fall Deepwater Horizon zeigt, wie unumgänglich Vorsorge, wirksame Kontrolle und gegebenenfalls auch Verbote sind. Präsident Obama setzt sein Ansehen ernsthaft aufs Spiel, wenn er den Wünschen der Ölindustrie weiter nachgibt wie vor dem 20. April.
Verantwortlich ist in erster Linie der BP-Konzern, aber auch die staatliche Aufsicht. Letztere hat nicht nur versagt, sie war – wie man inzwischen weiß – zutiefst korrupt. Schließlich wird uns aufs Neue gezeigt, dass der größte Risikofaktor der Mensch ist.

„BP als schwarze Perle in nachhaltigen Depots“

So lautet eine Schlagzeile in einem Bericht des Online-Magazins ecoreporter.de. Es stellt sich tatsächlich die Frage, warum eine Reihe von „Ökofonds“-Managern in BP-Aktien investiert hat. Ecoreporter.de nennt hier Dexia, SAM, Pictet. MEAG, Parvest (BNP Paribas) und den katholischen LIGA-Pax Cattolico von Union-Investment. Sind diese schlicht auf das Green-Washing des Konzerns hereingefallen (BP = beyond petroleum) oder haben sie ihre eigenen Anlagekriterien nicht konsequent umgesetzt?

Spätestens seit Tony Hayward den früheren Vorstandschef Lord Browne bei BP abgelöst hat, spielen Strategien zur Nachhaltigkeit in der Firmenpolitik keine Rolle mehr. Im Gegenteil: Die Lobbyarbeit (nicht nur von BP) vor allem in den USA richtet sich explizit gegen den Ausbau erneuerbarer Energien. Der Lüneburger Experte für Nachhaltigkeit Prof. Stefan Schaltegger ist der Ansicht, das „BP aus jedem nachhaltigen Fonds herausfallen“ müsse. Wenn ein Fonds sich nicht von solchen Titeln trenne, könne er nicht mehr seriös als Nachhaltigkeitsfonds firmieren.

Seb Beloe, Leiter Nachhaltigkeits-Research bei Henderson, ist grundsätzlich der Ansicht, dass die Ölförderung durch Großkonzerne nicht nachhaltig sein kann. „Unternehmen wie BP oder Shell sind zunehmend gezwungen, neue und schwieriger erschließbare Quellen in tiefen Gewässern, in der Arktis oder im Ölsand anzuzapfen. Die Erschließung stößt aber oft an technologische Grenzen. Wir glauben, dass die Wahrscheinlichkeit von Unfällen steigt“, so wird Beloe in der Wirtschaftswoche zitiert.

Auf verschiedenen Ebenen (auch in den Reihen von ökofinanz-21) wird derzeit diskutiert, inwieweit der so genannte Best-in-class-Ansatz für sich allein genommen ein glaubwürdiges Instrument bei der Bewertung von Unternehmen sein kann. Der Fall BP ist Anlass genug, darüber neu nachzudenken.

Ingo Scheulen